Missbrauchsbeauftragte kritisiert evangelische Kirche

Berlin () – Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, hält die Aufklärungsversuche der evangelischen Kirche in Fällen des sexuellen Missbrauchs für ungenügend. “Noch immer gibt es auch regional Regelungen, wonach Betroffene, die Anerkennungszahlungen beantragen, nicht nur die Taten plausibel machen, sondern auch das institutionelle Versagen nachweisen sollen”, sagte sie der “Rheinischen Post” (Dienstag).


“Das muss dringend geändert werden.” Auch gebe es nach ihren Worten bis in der evangelischen Kirche keine unabhängige Struktur der Anerkennung, die losgelöst von der Institution sei. “Hier kann die evangelische Kirche also einiges von der katholischen Kirche lernen, die nicht zuletzt aufgrund des hohen öffentlichen Drucks und des großen Engagements von Betroffenen ein so umfassendes System entwickelt hat. Derzeit gibt es jedenfalls keine andere institutionelle Struktur, die in Ansätzen das erreicht hat, was für Betroffene in der katholischen Kirche möglich wurde, auch wenn es selbst hier einen klaren Weiterentwicklungsbedarf gibt”, so Claus.

Doch auch der katholischen Kirche attestierte sie institutionelles Versagen, wie es sich am Beispiel der Missbrauchsaufklärung im Erzbistum Köln gezeigt habe. So gebe es Gründe dafür, warum ein Betroffenenbeirat in Köln nicht funktionsfähig arbeiten konnte. Das Versagen von Kirche zeige sich immer da besonders, wenn sie Ansätze ihrer Aufklärungsversuche nicht systematisch fundiert aufstellt. “Das Motto scheint viel zu oft zu sein: Ja, wir haben hier eine Krise und darauf brauchen wir eine schnelle Antwort. Doch die schnelle Antwort war in Köln eben keine schnelle und erst recht keine gute Lösung, die auch trägt. Und genau das konnte man in Köln sehr gut beobachten.”

Die Frage sei immer: “Will es eine Institution wirklich wissen, will sie Taten wirklich aufklären und in die Aufarbeitung gehen? Ein solcher Prozess geht nie schnell, es ist ein Prozess, der transparent und unter Einbeziehung vieler und vor allem der Betroffenen stattfinden muss. Wenn es dann aber wieder verschlossene Türen gibt, wieder Fragen zu Gutachten nicht abgestimmt sind und eine Kirchenleitung im Amt ist, die sich in Widersprüche verstrickt, dann ist das wenig hilfreich für eine erfolgreiche Aufarbeitung”, sagte Claus der Zeitung.

Nach Einschätzungen von lebten in Deutschland heute sieben bis neun Millionen Menschen, die als Kind Missbrauch erlebt haben. Das sind sieben bis neun Millionen. Eine riesige Gruppe also, die trotz aller Debatten vielfältig unsichtbar bleibe. “Das hat mit Opfer-Stigmatisierung zu tun, mit gesellschaftlicher Hilflosigkeit und dass wir noch keine klaren Begriffe haben, was sexuelle Gewalt ist. Das sind alles Gründe, warum die Betroffenheit von so vielen Menschen bis heute nicht sichtbar ist.”

Ihrer Einschätzung nach komme das ganze Ausmaß der sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen in der noch immer zu langsam an: “Noch viel zu oft wollen wir nicht sehen, dass sexuelle Gewalt gerade in unserem direkten Umfeld stattfinden könnte.” Die gelernte Journalistin ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und wurde im März 2022 zur Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) berufen.

Text-/Bildquelle: Übermittelt durch www.dts-nachrichtenagentur.de
Bildhinweis: Evangelische Kirche (Archiv)

Missbrauchsbeauftragte kritisiert evangelische Kirche

Zusammenfassung

  • Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus hält Aufklärungsversuche der evangelischen Kirche für ungenügend.
  • Betroffene müssen nicht nur Taten plausibel machen, sondern auch institutionelles Versagen nachweisen.
  • In der evangelischen Kirche gibt es noch keine unabhängige Struktur der Anerkennung.
  • Evangelische Kirche kann von katholischer Kirche lernen, die ein umfassendes System entwickelt hat.
  • Auch katholische Kirche zeigt institutionelles Versagen, wie im Missbrauchsfall des Erzbistums Köln.
  • Experten schätzen, dass in Deutschland 7 bis 9 Millionen Menschen als Missbrauch erlebt haben.
  • Gesellschaftliches Problem ist die Stigmatisierung von Opfern und mangelndes Verständnis für sexuelle Gewalt.
  • Kerstin Claus ist Mitglied der Grünen und wurde im März 2022 zur UBSKM berufen.

Fazit

Die deutsche Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus kritisiert die Aufklärungsversuche der evangelischen Kirche in Missbrauchsfällen als unzureichend. Ihrer Meinung nach könnte die evangelische Kirche von der katholischen hinsichtlich unabhängiger Anerkennungsstrukturen lernen. Das institutionelle Versagen der Kirche werde deutlich, wenn Aufklärungsversuche nicht systematisch fundiert aufgestellt werden, erklärt Claus und fordert einen transparenten Prozess, der die Betroffenen einbezieht. Sie schätzt, dass in Deutschland bis zu neun Millionen Menschen Opfer von sexuellem Missbrauch sind, deren Leid jedoch aufgrund von Stigmatisierung und gesellschaftlicher Hilflosigkeit überwiegend unsichtbar bleibt.

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