Immer mehr Eltern klagen gegen Zeugnisnoten

Die Halbjahreszeugnisse sind raus und viele sind verzweifelt. Eine Fünf in Mathematik oder eine Vier in Englisch können dem Nachwuchs den Weg zum Traumjob verbauen. Was tun? Mit den Kindern lernen, damit es bis zum Versetzungszeugnis klappt? An die Vernunft der Söhne und Töchter appellieren, dass sie sich anzustrengen, damit es mit der Versetzung noch ohne Probleme funktioniert? Oder doch besser gleich Beschwerde oder Widerspruch gegen die einlegen und Klage einreichen? Diesen Weg gegen immer mehr Eltern, die die ihrer Kinder in akuter Gefahr sehen.

Die Kompetenz infrage stellen

Arzt soll der Sohn werden und Anwältin die Tochter. Das Zeug dazu haben die Kinder, keine Frage, aber sie haben offenbar Lehrer, die das Potenzial der Kinder einfach nicht erkennen. Der Nachwuchs braucht die guten Noten, denn wie soll er sonst in den Traumberufen Fuß fassen? Vor 20 Jahren haben die Eltern die Zeugnisnoten akzeptiert und versucht, bis zur Versetzung das Beste daraus zu machen. Die Eltern von heute denken gar nicht daran, die Noten einfach so hinzunehmen, sie stellen die Kompetenz der Lehrer immer öfter infrage. Diesen Trend verzeichnet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, und zwar vor allem in Nordrhein-Westfalen. Es gibt immer häufiger massive Beschwerden der Eltern gegen die Lehrer und auch gegen die Schule. Die Eltern nutzen die Gelegenheit und setzen sich gegen die vermeintlich unfaire Benotung der Kinder zur Wehr. Nicht selten reicht das bis zu einer Klage vor Gericht.

Wie wehren sich die Eltern?

Eltern, die sich gegen die Zeugnisnoten ihre Kinder zur Wehr setzen möchten, müssen sich im ersten Schritt an die Schule wenden. Sollte die Schule der Auffassung sein, dass die Lehrer korrekt benotet haben, was sich unter anderem an den Klassenarbeiten nachweisen lässt, aber die Eltern sich damit nicht zufriedengeben, dann kommt beim zweiten Schritt die jeweilige ins Spiel. Der Bezirksregierung liegen konkrete Zahlen vor, allerdings ist das nicht immer der Fall, was einen Widerspruch nicht leichter macht. In einigen Regierungsbezirken in Nordrhein-Westfalen sind die Zahlen der Eltern, die Widerspruch einlegen, stark angestiegen. Das ist zum Beispiel im Regierungsbezirk Detmold der Fall, wo im vergangenen Schuljahr 112 Widerspruchsverfahren mittels Bescheid abgeschlossen wurden. Normalerweise sind es nicht mehr als 80 solcher Bescheide. Es gibt allerdings auch Bezirke, in denen die Widersprüche rückläufig sind. Zum Beispiel in Köln, Münster und im Regierungsbezirk Arnsberg. Dort war die Zahl in den vergangenen fünf Jahren allerdings recht hoch, alleine im Regierungsbezirk Arnsberg gab es 2013/2014 knapp 200 Widersprüche.

Wie hoch sind die Erfolgschancen?

Nicht immer müssen die Eltern den kompletten Weg bis zur Klage gehen. In vielen Fällen einigen sich die Schulen und die Eltern bereits in einem frühen Stadium und der Widerspruch endet nicht bei der Bezirksregierung. Wie hoch die Chancen auf einen erfolgreichen Widerspruch stehen, das lässt sich leider nicht sagen. Im Regierungsbezirk Detmold stehen die Chancen für die Eltern eher schlecht, denn hier korrigiert die Bezirksregierung nur sehr vereinzelt die Zeugnisnoten. Bei 112 Widerspruchsverfahren gab es nur ganze 16 Korrekturen. Acht Elternpaaren hat dieses Vorgehen überhaupt nicht gepasst, sie haben sich für ein Klageverfahren entschieden. Zwei Verfahren sind bereits beendet und sie endeten mit einem Vergleich, über die restlichen sechs Verfahren ist noch nicht entschieden worden.

Der pädagogische Bewertungsspielraum

Nach dem Gesetz sind die Zeugnisnoten auf dem Halbjahreszeugnis juristisch nicht anfechtbar. Die Lehrer haben einen sogenannten Bewertungsspielraum bei den Noten und dieser Spielraum ist recht schwammig. Ein „Gut“ auf dem bedeutet, dass der Schüler den Anforderungen voll und ganz entspricht. Ein „Mangelhaft“ hingegen zeigt, dass der Schüler den Anforderungen nicht entspricht, allerdings sind gewisse Grundkenntnisse vorhanden. Dieses Beispiel zeigt, wie schwammig die Vergabe der Zeugnisnoten definiert wird. Wenn die Eltern sich gegen die Benotung zur Wehr setzen wollen, dann ist das nicht leicht, es klappt vor Gericht meist nur, wenn es nachweislich Formfehler gab. Hat sich der Lehrer bei der Zahl der Punkte verrechnet, dann ist das ein Formfehler. Das Gleiche gilt, wenn die Prüfung nicht ordnungsgemäß abgehalten wurde, weil zum Beispiel die Zeit nicht ausreichte.

Miteinander reden

Alle Eltern wollen für ihre Kinder nur das Beste und so lässt sich mit viel gutem Willen auch das Verhalten vieler Eltern begründen, wenn es um die Zeugnisnoten geht. Rechtsexperten und Pädagogen raten Eltern davon ab, gegen die Schule oder den Lehrer zu klagen. Vielfach helfen konstruktive Gespräche zwischen Schule, Lehrern und Eltern. Sind die Fronten allerdings verhärtet, dann bleibt letztendlich nur der Gang vor Gericht. Die Eltern haben vier Wochen Zeit für einen Einspruch. Gibt es im Zeugnis keine Rechtshilfebelehrung, dann verlängert sich die Frist auf zwölf Monate. Gibt es in diesem Zeitraum keinen Einspruch vonseiten der Eltern, dann ist das Zeugnis rechtskräftig und nicht mehr anfechtbar.

Lehrer unter Druck

Seit einigen Jahren beklagen sich die Lehrerverbände in Deutschland, dass immer mehr Lehrer massiv unter Druck gesetzt werden. Die Eltern nutzen zum Beispiel die Sprechtage, um mit den Lehrern um die Noten zu feilschen, zu diskutieren oder auch um die Lehrer zu bedrohen. Die Eltern mischen sich immer mehr in viele schulische Bereiche ein, sie misstrauen grundsätzlich dem Urteil des Lehrers, wenn dieser beispielsweise nicht wie gewünscht zum Gymnasium, sondern „nur“ zur Realschule rät. Viele Lehrer halten dem Druck nicht mehr stand und vergeben aus Angst vor den Eltern keine schlechten Noten mehr. Damit es nicht zum Streit mit den Eltern kommt, gibt es eine Zwei, auch wenn eine Drei oder sogar eine Vier gerechtfertigt wäre. Es ist der immer härtere Selektionsdruck, der zu einem falschen Leistungsgedanken führt.

Fazit

Eltern, die die Zeugnisnoten ihrer Kinder einklagen, erweisen dem Nachwuchs damit keinen Gefallen, eher das Gegenteil ist der Fall. Kinder wissen sehr schnell, was sie zu ihrem Vorteil nutzen können. Wenn Eltern einmal den Klageweg beschreiten, dann erwarten die Kinder, dass sie es bei der nächsten Gelegenheit noch einmal tun. Wozu also noch anstrengen, wenn Papa einen Rechtsanwalt einschaltet, damit die Noten stimmen? Wenn es mit der Wunschschule nicht klappt – auch dann reichen die Eltern Klage ein, wenn es nötig ist. Die Kinder sind die Leidtragenden, wenn Eltern nicht akzeptieren wollen, dass sie nicht gegen alles und jedes klagen können.

Bild: @ depositphotos.com / Nadezhda1906

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Ulrike Dietz