Kann Philosophie den Religionsunterricht ersetzen?

Gibt es Kinder im Grundschulalter, die sich Gedanken über den Sinn des Lebens machen? Oder stellen sie ihr eigenes Ich infrage? Wahrscheinlich nicht, denn diese Fragen gehören in das Reich der Philosophie, die sich kleinen Kindern eher nicht erschließt. Trotzdem sind Bildungspolitiker in Nordrhein-Westfallen davon überzeugt, dass Philosophie eine gute Alternative zum Religionsunterricht ist. Geht es den Experten wirklich nur um die Anleitung zum Denken? Oder treibt sie letztendlich die Angst vor einem zunehmenden Krieg der Religionen an den Schulen im Land?

Kant im Klassenzimmer

Bereits in acht Bundesländern gibt es den Philosophieunterricht anstelle des Religionsunterrichts, wenn auch in sehr unterschiedlichen Ausführungen. Nordrhein-Westfalen wäre das neunte Bundesland, das die Philosophie an den Grundschulen im Koalitionsvertrag verankert hat. Die CDU hat sich lange geziert, trägt sie schließlich das C für Christlich im Namen. Aber es ist der FDP gelungen, den Koalitionspartner zu überzeugen, zumal auch die Grünen und die AfD dafür sind, Kant und Nietzsche in die Klassenzimmer zu schicken. In den weiterführenden Schulen ab der fünften Klasse lauschen viele Kinder bereits den großen Philosophen, neu ist das Angebot für die Grundschulen.

Besteht Bedarf an Philosophie?

Müssen Kinder sich überhaupt mit Geisteswissenschaften auseinandersetzen? Das wollten die Grünen im Düsseldorfer Landtag genauer wissen und sie beauftragten ein Expertenteam mit Fachleuten von Hochschulen, Kirchen und Schulen. Die Experten sind der Meinung, dass durchaus Interesse besteht, denn von den 632.693 Grundschülern in Nordrhein-Westfalen besuchen immer weniger den Religionsunterricht in der Schule. Waren es 2012 noch zwölf Prozent der Grundschüler, die den Religionsunterricht nicht besucht haben, so sind es 2017 schon 17,5 Prozent, mit steigender Tendenz. Das steigende Desinteresse begründet sich zum einen durch die stetig wachsende Zahl der Kinder, die keine Konfession haben und zum anderen durch die Kinder, die einer anderen Glaubensgruppe angehören. So wird es immer schwer, zwölf Kinder zusammenzubekommen, um Religionsunterricht durchführen zu können.

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Viele Freistunden

Religionsunterricht kann nicht mehr stattfinden, weil es vielfach Angehörige religiöser Minderheiten gibt. Die Zahl der Buddhisten wie auch die Zahl der Aleviten oder der Jeziden ist überschaubar. In stark katholisch geprägten Regionen wie zum Beispiel dem Münsterland, sind die evangelischen Christen in der Minderheit, in einige Hochburgen der Protestanten gibt es hingegen zu wenige Katholiken. Aktuell sitzen die Kinder, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, in der beaufsichtigten Freistunde. Sie machen dort ihre Hausaufgaben oder gehen nach Hause, wenn es an der Schule keine Aufsichtsperson gibt. Alles in allem entgehen diesen Kindern im Jahr rund 85 Schulstunden. Einige Schüler sind allerdings neugierig und besuchen freiwillig einen fremden Religionsunterricht. Bislang konnten nur die großen Konfessionen vom Religionsunterricht profitieren. Knapp 34 Prozent der Kinder sind katholisch, 22 Prozent sind Protestanten und knapp 19 Prozent sind Muslime, mit stark steigender Tendenz. Wie viele dieser Kinder jedoch am Philosophieunterricht teilnehmen, ist fraglich, aber nicht wenige Eltern werden das Fach Philosophie als Konkurrenz sehen.

Die kritischen Philosophen

Naheliegend ist, dass die Kirchen gegen das neue Schulfach Philosophie etwas einzuwenden haben. Komischerweise legen die Kirchen dem neuen Fach aber keine Steine in den Weg, es sind vielmehr die Philosophen, die sich kritisch äußern. Die Didaktiker und diejenigen, die Philosophie an den Universitäten lehren, sind ein bunter Haufen, der sich in viele unterschiedliche Strömungen zerteilt und oft hoffnungslos zerstritten ist. Die Philosophen haben Angst, dass die Kinder mit allzu großen Fragen konfrontiert und sie in die undankbare Rolle eines Metaphysikers gedrängt werden. Für die Grünen stellt sich diese schwierige Frage nicht. Sie wollen, dass Kinder im Grundschulalter sich mit den großen Fragen des Lebens beschäftigen, die da lauten: Wo will ich hin, wo komme ich her und was ist eigentlich Glück? Leider sind diese relativ einfachen Fragen für Philosophen überhaupt nicht von Belang, die beschäftigen sich eher mit der analytischen Gegenwartsphilosophie und haben für einfache Themen keine Zeit.

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Es braucht keine großen Themen

Nach Ansicht von traditionellen Philosophen braucht es keine großen Themen, um auch kleinen Kindern das Thema Philosophie näherzubringen. Es reicht schon aus, ihr Interesse zu wecken. Die ganz großen Fragen überfordern die Kinder, sie stellen die kleinen Fragen und bringen alles konkret auf den Punkt. Warum bin ich auf der Erde und warum bin ich so und nicht anders? Warum müssen Menschen sterben und wie kann ein Leben aussehen, wenn es überhaupt keine Regeln gibt? Diese Fragen stellen die Kinder und stellen sie meist aus einem ganz persönlichen Grund. Vielleicht ist gerade ein naher Verwandter verstorben oder es gibt Regeln und Verbote, die Kinder als ungerecht empfinden. Wichtig ist, dass die Kinder offen ansprechen, was sie beschäftigt, um dann eine Diskussion anzustoßen, an der die Klassenkameraden teilnehmen. Lehrer sind hingegen der Meinung, dass ein Thema vorgegeben werden sollte, denn sonst kann es passieren, dass der Philosophieunterricht zu einer Art Experiment wird.

Eine echte Alternative?

Für Kinder, die aus einem christlich geprägten Elternhaus kommen, ist das Unterrichtsfach Philosophie keine Alternative. Auf der anderen Seite werden Kinder aus einem atheistischen Elternhaus das Fach Philosophie als gute Alternative empfinden. Religion ist für Atheisten eine andere Form von Aberglaube, die auf dem Lehrplan von Grundschulen nichts zu suchen hat. Befürworter des christlichen Religionsunterrichts sehen in der Philosophie eine Möglichkeit, um endlich die Streitigkeiten beim Islamunterricht zu beenden. Noch immer geht die Angst vor dem Missionieren um und die vielleicht noch größere Furcht vor dem Islam, der seinen Einfluss stetig erweitert. Viele sind der Meinung, dass weder das eine noch das andere etwas an einer Grundschule zu suchen hat. Religion ist und bleibt Privatsache und die Philosophie sollte den Philosophen überlassen werden.

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Fazit

Alternativen gibt es genug, die an den Grundschulen statt Philosophie und Religion unterrichtet werden könnten. Wie wäre es zum Beispiel mit einem so neutralen Fach wie Kochen? Die Kinder lernen zusammen kochen und backen. Aber halt, das kann ebenfalls zu Konflikten führen, denn einige Kinder essen kein Schweinefleisch, einige essen überhaupt kein Fleisch und wieder andere lehnen alles ab, was tierischen Ursprungs ist. Dazu kommen diejenigen, die kein Gluten vertragen oder eine Laktose-Intoleranz haben. Die Schule müsste wieder einmal eine Alternative finden, um allen gerecht zu werden. Einfach ist es nicht, alle unter einen Hut zu bringen, aber das hat auch niemand erwartet.

Bild: @ depositphotos.com / racorn

Ulrike Dietz